Ein Stamm, der lebendig werden will, braucht Kinder!
Seit der Stamm der Likatier existiert, gibt es auch Kinder in der Gemeinschaft. Sie sind für die Stammesmitglieder eine besondere Quelle der Lebendigkeit und Wegweiser für viele Beschäftigungen, da die Kinder noch ungebrochener in ihren natürlichen Impulsen und Gefühlen sind. Für den Stamm sind sie in vielerlei Hinsicht Lehrmeister: Wo lernen wir mehr "bedingungslos zu lieben"? Wo begegnet uns das Leben mehr als im Mysterium der Zeugung, Schwangerschaft, Geburt, Vater- und Mutterschaft? Die Kinder leben "mitten in der Gemeinschaft" - sie schaffen ein dichtes Netz von Freundschaften und auch verwandschaftlichen Beziehungen. Sie nehmen teil an Stammesfesten und sind natürlich auch Anlaß vieler Feste: Namensgebungsfeiern, Plazentavergrabung, Geburtstage, Übergang zum Erwachsenwerden, usw.
Kinder sind dem Stamm immer willkommen. Ungeborenes Leben ist den Stammesmitgliedern heilig, und "Abtreibung" wird abgelehnt, da sie sich nicht vorstellen können, ihre eigenen Kinder umzubringen. Leben beginnt für die Stammesmitglieder nicht erst nach einer bestimmten Zeitspanne, sondern Kinder im Mutterleib sind von Anfang an "vollständig" und nehmen alles genau wahr. Die ungeborenen Kinder erhalten schon im Mutterleib einen Namen. Nach der Geburt bekommt das Kind einen neuen Namen.
Nach der Geburt gibt es eine Feierlichkeit, wo die Plazenta des Neugeborenen unter einem Baum vergraben wird. An dem Baum wird dann ein Namensschild mit dem Namen des Kindes angebracht, so dass jedes Kind im Stamm einen "Plazentabaum" hat.
Pädagogische Konzepte erscheinen den likatischen Stammesmitgliedern als kopflastige Versuche, den Umgang mit Kindern künstlich zu reglementieren. Das Lernen, das Spielen, der Umgang untereinander wird dadurch nach Auffassung der Likatier entfremdet. Da der Stamm der Likatier versucht, "dem Leben auf der Spur" zu sein, wird eine Rückbesinnung auf einen ursprünglichen Umgang mit Gefühlen, Dingen, Impulsen bei den Kindern und im sozialen Miteinander angestrebt.
Die Kinder sind im Vergleich noch viel weniger entfremdet und authentischer mit ihren Regungen und Empfindungen verbunden. Diese "Ursprünglichkeit" ist ein besonderer Schatz, den es zu bewahren gilt. Deshalb ist die likatische Grundhaltung anders als in den meisten pädagogischen Konzepten - die Erwachsenen und Kinder lernen gegenseitig voneinander durch Beobachten, Wahrnehmen und aufeinander Reagieren. Dazu ist ein Rahmen notwendig, wo sich die Kinder überhaupt entfalten können. Der Stamm versucht durch das Stammesleben, wo die Kinder außer in Kleinfamilien und Großfamilien auch noch in die Kinder- und Jugendlichengemeinschaft sowie die Gesamtgemeinschaft (Stamm) eingebettet sind, diesen lebensfreundlichen und lebensfördernden Rahmen zu schaffen. Hier finden die Kinder Anregungen, Entwicklungsimpulse, Vorbilder und Wegweiser für ihr eigenes Verhalten.
Natürlich stehen die Eltern, insbesondere die Mütter, im Mittelpunkt des Beziehungsgeschehens der likatischen Kinder. Die Stammesmütter versuchen, die sonst sehr verbreiteten üblichen Brüche zwischen sich und dem Kind zu vermeiden. Sei es, daß die Mütter bei der Geburt möglichst keine Betäubungsmittel nehmen, weil Kinder das als traumatischen Trennungsschock erleben, sei es, daß man nur im äußersten Notfall einen Kaiserschnitt macht, mit dem immer auch spätere Probleme des Kindes verbunden sind, sei es, daß die Kinder nach der Geburt bei der Mama im Bett bleiben oder sei es, daß die Mütter ihre Kinder so lange stillen, bis die Kinder sich selber abstillen, was in der Regel etwa 5-7 Jahre dauert.
Über die Rolle der Eltern hinausgehend gibt es im Stamm der Likatier die Grundeinstellung, daß man sich für alle anderen Stammesmitglieder zuständig fühlt, insbesondere auch für die Kinder. Durch die ausgeprägten Kontakte der Kinder mit vielen verschiedenen Erwachsenen entsteht eine große Beziehungsvielfalt, die für die Kinder einen großen Reichtum darstellt.
Als besonders wichtig hat sich auch das Zusammensein der Kinder mit den Jugendlichen herausgestellt. Auch hier erleben die Kinder viel Unterstützung und Verständnis, auch Fürsorge und Liebe. Hier lernen die Kinder sich auseinanderzusetzen und sich zu integrieren. Es ist auffällig, wie die kleinen Kinder von den größeren integriert werden, wie z.B. gemeinsame Spiele so konzipiert werden, dass alle Altersstufen mitmachen können.
Wo Menschen zusammen leben, da "menschelt" es natürlich auch. So kommt es freilich auch öfter vor, dass man ein Kind nicht "wahrnimmt" und liebevoll mit seinen ursprünglichen Impulsen umgeht ... sondern einfach überfordert und genervt reagiert. Die Erwachsenen sind aber bemüht, sich selber in Frage zu stellen und reden auch mit den Kindern darüber. Die eigene Liebesfähigkeit ist eines der zentralen Themen im Umgang mit Kindern - ist eigentlich überhaupt das Thema im Stammesleben.