Kultur

Namensgebung

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Das Recht sich selbst, anderen Menschen und den Dingen Namen zu geben ist wohl die einfachste, gleichzeitig aber auch eine grundlegende Möglichkeit eigenständiger Kulturgestaltung. Angesichts des Zieles der Schaffung einer eigenen likatischen Stammeskultur, versuchten die Likatier von Anfang an bei der Namensgebung eigene, für sie passende Wege zu gehen:

Namenspaten

Namensgebungen sind nach dem Verständnis dieses neuen Stammes heilige Akte, mit denen besonders respektvoll umgegangen wird. So findet vor jeder Namensgebung die Bestimmung eines Namenspaten statt, wo jemand sich selber dazu bestimmt oder einen anderen fragt, ob er bereit ist, Namenspate für eine bestimmte Namensgebung zu sein. Wenn der Namenspate festgelegt ist, ist es tabu, den Namenspaten bezüglich der Meinungsbildung zur Namensgebung zu beeinflussen. Der Namenspate redet auch mit niemandem darüber, welchen Namen er geben wird. Erst im Rahmen der Namensgebungsfeier gibt der Pate dann den Namen erstmals bekannt. Dieser Name steht dann nicht mehr zur Diskussion, und er wird von allen akzeptiert.

Wer und was bekommt Namen

Namensgebungen finden im Stamm der Likatier wesentlich häufiger statt als in den durchschnittlichen europäischen Kulturen. Das hängt damit zusammen, daß Namensgebungen nicht nur bei geborenen Kindern durchgeführt werden, sondern auch bei ungeborenen Kindern, sogar bei abgegangenen oder früher abgetriebenen Kindern gibt es im Nachhinein Namensgebungen, sobald eines der Elternteile Stammesmitglied wird und dies wünscht. Dann werden aber nicht nur Menschen Namen gegeben, sondern auch Häusern, Grundstücken, Bäumen, Sträuchern, Pflanzen-Populationen, Zimmern, Treppen, Autos und vielem anderem mehr. Die Namensgebungen haben dabei nicht nur eine formale Funktion, sondern sie spiegeln das tiefe wesenhafte Weltverständnis der Likatier wieder und deren Liebe zu den Lebewesen und Dingen, die von den Menschen in Likatien eben nie nur materiell empfunden werden. Mit der Namensgebung für all dies drücken die Stammesmitglieder ihre Achtung, ihren Respekt und ihre spirituelle Würdigung den Wesen und Dingen gegenüber aus.

Vor der Geburt

Kinder erhalten, sobald deren Existenz im Mutterleib bekannt ist, einen Rufnamen, teilweise noch weitere Vornamen und auf jeden Fall auch einen Stammesnamen. Oft sind diese Namen geschlechtsneutral, da das Geschlecht der Kinder meist noch nicht bekannt ist. Mit dieser Namensgebung bringt der Stamm der Likatier seine Ehrerbietung dem neuen Mensch gegenüber zum Ausdruck und demonstriert seine Haltung, daß ein solches Wesen schon ab seiner Zeugung ein vollwertiger Mensch mit aller Würde ist, ein Kind, das die Likatier in jedem Fall willkommen heißen, lieben und schützen. Es versteht sich von selbst, daß man solche geliebten und gewürdigten Kinder nicht abtreiben will.

Geborene Kinder

Wenn die Kinder dann zur Welt kommen, bekommt das Kind einen neuen Namen, meist von einem neuen Namenspaten, den die Mutter des Kindes bestimmt, soweit sie nicht selbst Namenspate sein will. Auch hierfür wird dann wieder eine Namensgebungsfeier durchgeführt, wo alle Anwesenden erstmals den Namen des neugeborenen Kindes erfahren.

Abgänge u.a.

Sobald einer neu bei den Likatiern Stammesmitglied wird, können auch seine ungeborenen Kinder, die im Mutterleib durch Abgang, Abtreibung, Eileiterschwangerschaften oder ähnlichem gestorben sind, Namen bekommen. Damit werden diese Kinder nicht nur von Seiten des likatischen Stammes her gewürdigt, sondern es findet unter anderem durch diese Namensgebung oft auch eine Aussöhnung zwischen den Eltern und diesen teils vergessenen und teils verdrängten toten Kindern statt (das ist gerade bei Abtreibungen wegen der im Unbewußten schwelenden Schuldgefühle von großer Bedeutung). In Likatien bekommen diese verstorbenen Kinder nicht nur Namen, sondern sie werden auch als latente Stammesmitglieder (Lamatieden i.e.S.) angesehen, und bekommen damit ihren unvergeßlichen Platz innerhalb des Stammes und seiner Kultur.

Häuser

Grundsätzlich bekommt in Likatien auch jedes stammeseigene Haus und jede stammeseigene Immobilie einen Namen. Zusätzlich bekommt jedes Zimmer, jeder Gang und jede Treppe, genauso wie jeder andere markante Gebäudeteil einen Namen. Diese Namen werden meist auch dann durch Namensschildchen oder Aufschriften an die jeweiligen Räume angebracht, so daß die Stammesmitglieder nach und nach diese vielen Namen auswendig wissen. Auch hier zeigt sich das Weltbild der Likatier, die ein Grundstück oder ein Haus oder einen Raum nicht nur als eine irgendwie angeordnete funktionale Materieanhäufung ansehen, sondern auch als Wesen, mit dem man als solches kommunzieren kann und das man auch wie jedes andere Wesen würdigen kann. Auch hier ist die Namensgebung in erster Linie ein symbolischer Akt des In-Beziehung-tretens und der Anerkennung als Wesen.

Bäume

Vor allem Bäumen werden in Likatien ebenfalls Namen gegeben. Die Beziehung zwischen Mensch und Baum wird spirituell als besonders bedeutsam angesehen, beispielsweise durch die Annahme, daß die Bäume im Pflanzenreich die Stelle einnehmen, die die Menschen im Tierreich einnehmen, von woher auch eine entsprechend wirkungsmächtige Verbindung zwischen den Menschen und den Bäumen kommt. Von daher ist es naheliegend daß der Stamm im Füssener Land nicht nur den meisten Bäumen auf eigenen Grundstücken Namen gibt, sondern auch markanten Bäumen in ihrem Lebensumfeld, wie beispielsweise den Bäumen am Baumgarten (mit Namen aus alten Sagen und Mythen) oder den Bäumen am Lechuferweg (mit Namen von Göttinnen aus allen Kultur-Regionen).

Kindernamen

In der Wahl der Namen sind die Namenspaten vollkommen frei, was natürlich zu einer großen Vielfalt von Namen auch beispielsweise bei den Kindern führt. So gibt es einerseits so eher gewohnte Namen wie Markus, Alexander und David, christliche Namen wie Korbinian, jüdische Namen wie Aaron und Elias, aber auch fremdartige Namen wie Mashyana, Anahita und Lara-Armaiti, die alle drei aus der persischen Mythologie stammen. Die bisher über hundert im Stamm geborenen Kinder (die zum Teil schon erwachsen sind und von denen einige auch nicht mehr im Stamm leben) bekamen Namen aus den verschiedensten Sprachen wie Wanja aus dem Russischen, Marcel aus dem Französischen, Giacomo aus dem Italienischen, Nana Eudore aus dem Griechischen, Kurelen aus dem Mongolischen. Zahlreiche historische Persönlichkeiten oder Figuren aus Stücken von Dichtern werden dabei geehrt, wie beispielsweise durch den Namen Giordano (Giordano Bruno, den die Kath. Kirche im Jahr 1600 in Rom verbrennen hat lassen, weil er nicht widerrief, daß die Erde sich um die Sonne drehte), durch den Namen Aljoscha (aus "Die Brüder Karamasoff" von Dostojewski), durch den Namen Demian (aus "Demian" von Hermann Hesse) oder durch den Namen Nimue (aus "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimmer-Bradley) . Eine Quelle der Vornamen stellen auch die Vorfahren des jeweiligen Kindes dar, wie beispielsweise bei Franziskus, der nach seinem Großvater benannt ist. Auf eines achten die Namenspaten grundsätzlich schon, nämlich daß sie keinen Namen geben, den schon ein anderes Stammesmitglied hat - aber auch da könnte es mal Ausnahmen geben, denn die Namenspaten sind tatsächlich durch keine Regeln eingeschränkt.